Der »eingebaute« Kunde und die irritierende Anrede
• Der 8. Fall
Was denn nun?! Wie im ersten Kontakt mit einer neuen Firma sehr schnell deutlich wird, wie konsistent und ernst gemeint die Kommunikation mit den Mitarbeitenden im Unternehmen ist, zeigt dieser Fall.
Wer sich heute nach einer neuen Stelle umschaut, merkt bald, dass die Menschen gern in den Stellenanzeigen geduzt werden. Das höfliche und für viele zunächst distanziert wirkende »Sie« ist zunehmend dem oft platten und anbiedernd wirkenden »Du« gewichen. Klingt ja auch viel moderner, hipper und vor allem trendiger. So kann man im »War on talents« doch gleich Punkte machen und die umworbene Klientel auf ihrem alltäglichen Sprachniveau treffen… Da wird also geduzt, was das Zeug hält, und die Umworbenen erhalten unweigerlich den Eindruck, dieser sehr persönliche Ton auf Augenhöhe ist fest in der Firmenkultur verankert. Wem das gefällt, der wird sich angesprochen fühlen und sich bewerben.
Ich bin ja dabei, eine neue Herausforderung für mich zu finden, und habe mich auch auf einige dieser Anzeigen beworben, weil mich zum einen die Stellenausschreibung reizte und zum anderen die durch die saloppe Du-Anrede mittransportierte moderne Unternehmenskultur lockte. Umso enttäuschter war ich dann, als ich in fast allen Fällen eine Antwort mit der Anrede »Sehr geehrter Herr Ihlenfeldt« erhielt. Im weiteren Text wurde ich durchweg gesiezt – vom »Du« der Stellenanzeige weit und breit keine Spur. Sehr irritierend…
Was soll das? Ihr habt mir doch in der Stellenanzeige deutlich vermittelt, dass dort das »Du« die bevorzugte Anrede ist. Warum jetzt auf einmal »Sie«? Schlimmer wird das noch, wenn man zum ersten Gespräch vor Ort eingeladen wird und dann dort nur gesiezt wird. Das hinterlässt also eine ganze Reihe von Fragen und führt auch dazu, dass ich diese Unternehmen für mich auf die Streichliste setze. Kommt nicht in Frage – weder als Arbeitgeber noch als möglicher Geschäftspartner in Zukunft. Offensichtlich weiß man dort nicht, was man tatsächlich will. Und das brauche ich auch als Klient dieser Firma nun wirklich nicht.
Was ist passiert?
Oft setzen Firmen in der heutigen Zeit ein sogenanntes »Employer Branding« bzw. »Employer Marketing« ein, um in diesen Tagen erfolgreich auf die Suche nach neuen Mitarbeitenden zu gehen. Da aktuell ein Mangel an Fachkräften herrscht, sind die Unternehmen erpicht darauf, möglichst die Besten der Besten zu finden und sich deutlich vom Wettbewerb abzusetzen. Dazu werden in vielen Fällen dann spezielle Marketingagenturen engagiert, die sich allein um dieses Thema kümmern und die Bewerbendenansprache auf den aktuellen Stand der Dinge bringen sollen. »Du« klingt dann in den Entwürfen der Stellenanzeigen von den Agenturen selbstverständlich moderner als das verstaubt wirkende »Sie«. Aus verschiedenen Gründen gibt es dann aber manchmal keine Abstimmung mit dem allgemeinen Marketing oder aus Zeitgründen wird die Firmenkultur nicht in ihrer vollen Tiefe besprochen bzw. nur die Wunschvorstellung der Personalabteilung in die Anzeige übernommen, damit sich möglichst viele Kandidaten angesprochen fühlen. Und so sprechen eine Reihe von namhaften Firmen Ihre potenziellen neuen Mitarbeitenden in den Stellenausschreibungen mit »Du« an, obwohl im Unternehmen eigentlich das »Sie« gang und gäbe ist.
Der Tipp des »eingebauten« Kunden
Recruiting und HR sollten sich auf jeden Fall für die externe Kommunikation mit dem Marketing und der Kommunikationsabteilung abstimmen. Stimmt das Bild, das in den Stellenanzeigen gezeigt wird, mit der Realität überein? Sind Sie selbstkritisch und bleiben Sie ehrlich. Wer seine möglichen neuen Mitarbeitenden gern mit »Du« ansprechen möchte, im Unternehmen aber das »Sie« als vorherrschende Anrede feststellt, hat erst einmal einiges in der Firmenkultur zu korrigieren. Auch bei Mischformen, die durchaus häufiger vorkommen, muss für die externe Kommunikation klar geregelt werden, wie Sie es halten wollen. Wie soll Ihre Firma wahrgenommen werden?
Das ist eine ganz wichtige Form des Marketings und – vor allem – eine ganz wertvolle Arbeit für die Marke Ihres Unternehmens. Und das wirkt doppelt: Diese oft »Employer Branding« genannte Ausprägung des Marketings wendet sich an einen Menschen, der zum einen als Bewerber kommt, der aber zum anderen auch ein potenzieller Kunde sein kann. Sinnvollerweise erarbeiten Ihre Stellenanzeigen daher auch Ihre HR- und Ihre Marketingabteilung gemeinsam, um ein konsistentes und ausdrücklich wahrhaftiges Firmenbild zu transportieren. Sonst kann schnell passieren, was bei mir in einigen Fällen geschehen ist: Sie verlieren nicht nur einen möglichen Mitarbeiter, sondern auch einen denkbaren zukünftigen Käufer.
Grafik: Mark Ihlenfeldt
Best AI Website Creator